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ZEITGEFÜHL

Magazin für hochwertige
Mechanikuhren

Uhrenjournal

ZEN und die Uhr

Reflexionen zu Uhrenmodellen von Temption

Was hat Zen mit Uhren zu tun? Bedeutet Zen nicht Meditation, also Zeitlosigkeit? Durchaus. Aber Zen bedeutet noch mehr, nämlich die Stärke, die in Klarheit, Ruhe und Einfachheit liegt. Davon handelt dieser Beitrag.

Wasser

Klarheit

Klarheit ist eine Qualität, die für sich steht. Gar nicht so einfach zu beschreiben — etwas nicht genau Faßbares, und dennoch weiß jeder, was es ist, wenn er es antrifft. Im Design bedeutet das, sich nur auf das Wesentliche zu konzentrieren und alles übrige wegzulassen. Bei der Uhr geht es um eine ganz eindeutige Aufgabenstellung: Anzeige der Zeit. Außerdem Zuverlässigkeit und Widerstandsfähigkeit. Die meisten Uhren begnügen sich damit nicht, sondern sie transportieren einen Wust von Nebenbedeutungen und Zusatzeffekten: Kultur, Chic, Stil, Verzierungen, Neuheitswert. Die Anzeige der Zeit tritt mehr und mehr in den Hintergrund, wird verdrängt von Effekthascherei. Es ist, als hätte der Uhrenkreateur Angst vor der Eindeutigkeit der Aufgabenstellung, als würde er sich in Mätzchen flüchten. Wenn man meint, da wäre zu wenig, da wäre es nicht interessant genug, "zu langweilig", beginnt man zu kompensieren. Man will "unterhalten", will sich "interessant" machen.

Mit Klarheit hat das aber schon alles längst nichts mehr zu tun. Entweder eine Sache ist klar, oder sie ist nicht klar — basta. Nur wer Mut zur Klarheit hat, ist souverän, ist ernstzunehmen, verdient Respekt. Und wer das auch dann noch tut, wenn er weniger Beifall von außen bekommt, der verdient umso mehr Respekt.

Weg

b

Temption CM-06
Seltene Komplikation mit Datum, Wochentag, Wochenzahl
und Gangreserve; Automatik-Werk, Basis ETA 2892-A2
Edelstahlgehäuse D 42 mm

Befreiung

Laß ab von all deinen früheren Einbildungen, Meinungen, Deutungen und weltlichen Erkenntnissen, von Verstandesdünkel, Selbstsucht und Überlegenheitsstreben. Werde wie ein abgestorbener Baum, wie kalte Asche. Wenn du den Punkt erreichst, wo Gefühle aufgehört haben, Anschauungen sich verflüchtigt haben und dein Geist rein und bloß ist, öffnest du dich der Zen-Verwirklichung.

Danach kommt es darauf an, Beständigkeit zu entwickeln, den Geist stets von allen Verfälschungen freizuhalten. Ist da auch nur das geringste Schwanken, so besteht keine Hoffnung, die Welt zu überwinden.

Bleib in jeder Lage entschlossen und fest, dann wirst du Frieden haben. Wenn man dich keiner Stufe zuordnen kann, weder der des Weisen noch der der gewöhnlichen Menschen, dann bist du wie ein dem Käfig entkommener Vogel.

MEISTER YUANWU

Uhr

Herbst

Zurückhaltung

Es gibt Leute, die brauchen eine besonders auffällige, protzige Uhr, um sich interessanter zu machen, als sie sind. In diesem Fall ist die Uhr also ein sogenanntes Statussymbol, genau so, wie es für viele ihr Automobil ist. Das Bedürfnis, sich interessant zu machen, hat mit einem tieferliegenden Defizitgefühl zu tun. Eigentlich ist der Zusammenhang ganz klar und offensichtlich, und eigentlich müßte es jeder wissen und spüren, aber da es so viele gibt, die sich hier etwas vormachen (müssen, wollen oder es nicht anders gewohnt sind), tun sich diese Vielen zusammen und erschaffen ein Arrangement, um das zu vertuschen. Dazu gibt es dann einen riesigen Rummel und ein lautes Theater: Moden, Trends, Prospekte, Shops, all die beflissenen Verkäufer, die auf dieses gewisse Etwas anspielen, dann die sogenannten "Freunde", vor denen man sich hervortun will, usw. usf. Man nennt das auch "Prestige".

Das Motiv zu alledem steckt im Ego, das sich künstlich zu stabilisieren sucht. Zen ist das genaue Gegenteil: Da wird das Ego ausgehöhlt, bis es letztlich zusammenbricht und sich als hohle Attrappe erweist.

Deshalb ist Zurückhaltung im Auftreten keine künstlich angenommene Pose, keine bemühte Selbstdisziplin, denn sonst wäre sie nichts Echtes, sondern bloß wieder etwas Aufgepfropftes. Sondern sie besteht in einer ganz natürlichen, unverkrampften und auf nichts zwanghaft verzichtenden Entspanntheit und Gelassenheit. Man sieht die Dinge in ihrer Nüchternheit, ganz trocken, ganz rein, und dann entwickeln sie ihre eigene Interessantheit und Schönheit — einfach so. Das ist dann nicht die Interessantheit und Schönheit von etwas "Besonderem", sondern die Interessantheit und Schönheit von etwas Alltäglichem, zum Beispiel einem Gebrauchsgegenstand, einem Werkzeug, einem täglichen Utensil. So wie bei Besteck, bei einem Schraubenzieher, einer Fahrradluftpumpe. Oder wie bei den eigenen Schuhen, der Mütze, dem Schal, den Handschuhen.

Hier kommt auch die Uhr ins Spiel, denn auch sie zählt zu diesen alltäglichen Gebrauchsgegenständen. Schauen wir sie aus dieser Warte heraus an, so bekommt sie eine andere Bedeutung. Sie ist dann nicht für ein Publikum gedacht, sondern ganz allein für uns selbst. Wir schenken sie uns selbst; wir werten uns und unseren Alltag mit ihr auf. Hat sie für uns Qualität? Bringt sie für uns dieses Leuchten in unseren Alltag, den auch gut funktionierende, hochwertige, leistungsfähige, belastbare Gegenstände erzeugen, die ihre eigene funktionale Schönheit besitzen?

Temption Classic

Temption Classic
Chronograph, Automatik-Werk ETA 7750,
Edelstahlgehäuse D 43 mm

Wasser

Wabi Sabi

Der Wahlspruch von Klaus Ulbrich, dem Inhaber der Uhrenmarke Temption, lautet: pulchritudo in claritate (auf deutsch: Schönheit in der Klarheit). Er ließ sich inspirieren durch die Gestaltungsprinzipien des Bauhauses und des Wabi Sabi.

Wabi Sabi ist ein Begriff, den der japanische Tee-Meister und Zen-Mönch Sen no Rikyu im sechzehnten Jahrhundert einführte. Dazu gibt es die folgende kleine Anekdote:

Der Sohn des Meisters rechte das Kiesbett sauber und rein. Da nahm der Meister einen welken Zweig, schüttelte ihn mit einer Geste über die klaren Kiesel, so daß einige wenige Blätter herabfielen, und verwies seinen Sohn: "Beschränke alles auf das Wesentliche, aber entferne nicht die Poesie; halte die Dinge einfach und unbelastet, aber lasse sie nicht steril werden."


Übrigens wurde Rikyu später durch seinen Herrscher zum Selbstmord gezwungen — denn Rikyu lehrte das einfache Leben und eine Besinnung auf die Grundlagen, während sein Herrscher auf Reichtum und Luxus orientiert war. Auch dies kann uns zeigen: Prunk und Pomp vertragen sich nicht mit Nüchternheit und Reduktion aufs Wesentliche, ja sie fühlen sich dadurch sogar bedroht. Denn Prunk und Pomp sind, auch wenn es niemand jemals offen zugeben würde, sehr oft zu dem Zweck da, die eigene Hohlheit und Leere zu überdecken. Das Nüchterne und Einfache löst Angst aus, so wie Wahrheit immer Angst auslöst bei allem, was mit Unwahrheit durchsetzt ist.

Äste

Hinter der Schale der äußeren Form

In der Welt des Haiku sprechen wir davon, einen Stoff gut zu "skizzieren"; das ist die Grundidee beim Verfassen von Haiku. Dieses "Skizzieren" dient dazu, den Gegenstand zu beobachten, zu untersuchen und abzutasten, bis man in der Lage ist, zu seinem wahren Wesen vorzudringen.

Dabei stellt man fest, daß die Wahrheit sich von der Wirklichkeit unterscheidet. Sie ist nicht die Wirklichkeit, sondern das, was man findet, wenn man die Schale der äußeren Form durchbricht und zum Kern einer Sache durchdringt. Anders ausgedrückt: Die Wahrheit finden heißt die Wirklichkeit aufspüren, die hinter der tatsächlichen Gegebenheit einer Sache liegt.

Um das zu erreichen, muß man sich der geistigen Strapaze unterziehen, den Gegenstand sehr lange und intensiv zu studieren. Erst nachdem man diesen Prozeß durchgestanden und durch die Erfahrung gefiltert hat, kann man dieses Etwas finden, das notwendig ist, um ein einziges Haiku-Gedicht zu schreiben. Das macht das Wesen des "Skizzierens" aus.

KENKICHI KUSUMOTO, Haiku-Dichter


Hier wird zwar von Haiku gesprochen, aber was das tiefere Erfassen eines Gegenstands betrifft, so gilt das Gesagte auch für jegliche andere ernsthafte Auseinandersetzung, sei sie nun auf Materielles oder auf Ideelles bezogen. Sie gilt daher genauso für das Erfassen des Wesentlichen einer Uhr. Auch hier gibt es eine tiefere Schicht, die sich erst nach (und vermittels) einer derartigen Auseinandersetzung erschließt.

Temption Classic Werk

Rückseite Temption Classic
mit Werkansicht

Die Kraft, die aus der Ruhe erwächst

Es scheint also alles auf Reduktion und Verzicht hinauszulaufen — für den westlichen Menschen ein Anzeichen von Verkümmerung, Armut und karger Selbstbeschränkung. Auch das ist wieder die Perspektive des Egos, das nichts anderes kennt als sein unechtes Aufgebauschtes. Man muß die Ruhe, die Leere, die Abwesenheit von Lärm und Oberflächlichkeit erst einmal aushalten können. Dann kommt nach und nach etwas anderes zum Vorschein, eine neue Kraft, eine neue Inspiration, eine neue Zuversicht. Das wird nicht gemacht, das geschieht. Und diese Kraft ist immer etwas Selbständiges, Unbestechliches und Überzeugendes. Aber sie ist nicht laut; sie trumpft nicht auf; sie geht nicht hausieren, sondern sie ist selbstgenügsam.

Und diese Kraft ist nicht dumpf, verhalten oder berechnend, sondern frisch, offen und voll von spontaner Freude. Es handelt sich um ein reines Geben, das aus dem authentischen Sein entspringt wie ein klarer, ungetrübter Quell. Ohne Scham, Schuld, Sorge, und ganz ohne jedes Schielen auf Effekte — unbekümmert, kindhaft, und doch zugleich auch reif, ernsthaft und der eigenen Stärke voll gewahr.

Herbstlaub

Temption Formula

Temption Formula
Chronograph, Automatik-Werk ETA 7750,
Edelstahlgehäuse D 43 mm

Zen und Qualität

Die Qualität, von der ich hier schreibe, ist in unserer Kultur unbeliebt und sehr vernachlässigt. Es gibt wenig Uhrenhersteller, die die Stärke haben, etwas wirklich Eigenes zu machen und nicht auf Modetrends und auf die Eitelkeit der großen Masse von Kunden zu schielen. Manche haben auch einfach nicht die innere Größe — ihnen fehlt das Verständnis für tiefere Zusammenhänge. Man tut das, womit am schnellsten ein leichtes Geld zu machen ist. (Und da, wo die menschlichen Schwächen am meisten zum Tragen kommen, läßt sich — seien wir ehrlich! — immer am mühelosesten Geld machen.) Aber die Uhren, die dann entstehen und verkauft werden, die werden Sie alle genauso schnell vergessen können.

Die Freiheit, die ich hier auf diesen Webseiten habe (und die ich sehr genieße), besteht darin, über anderes zu berichten, andere Uhren vorzustellen, Uhren, die nicht nur vordergründig blenden, sondern die wirklich interessant sind und die echten Bestand haben, weil sie einen anderen, tieferen Wert verkörpern. Das tue ich nicht, um jemand zu überzeugen, sondern ich tue es für mich selbst — denn es vermittelt mir eine wirkliche Genugtuung. Es ist das, was einen — wie ich immer wieder bestätigt finde — an derartigen Uhren bereichert.

Stein

Woher alles kommt

Zen ist nicht durch Vorträge, Erörterungen und Debatten zu erlangen. Nur Menschen von großer Wahrnehmungskraft können es klar erfassen.

Aus diesem Grund vergeudeten die Alten nicht einen Augenblick. Auch wenn sie nicht bei einem Meister vorsprachen, um bestimmte Wahrheiten zu klären, widmeten sie sich echter Zen-Übung und erlangten schließlich auf natürliche Weise eine reife Gelassenheit. Sie verfingen sich nicht in den trügerischen Erscheinungen der Welt.

Kannst du das auch, so wirst du irgendwann plötzlich das Licht deines Geistes umwenden und alle Täuschungen durchschauend das wahre Selbst erblicken. Dann wirst du verstehen, woher alles kommt — die Leidenschaften und Einbildungen der Welt, die stoffliche Welt, Form und Leere, Licht und Dunkel, Prinzip und Wesen, das Geheimnisvolle und Wunderbare.

Hast du dies klar erfaßt, so wird nichts mehr dich einfangen und festhalten können, sei es weltlich oder überweltlich.

MEISTER XIATANG

Wald am Hang

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Quellennachweis

Die obigen Uhrenbilder stammen aus Pressematerial der Fa. Temption Uhren, Herrenberg und werden mit freundlicher Genehmigung wiedergegeben.

Gerd-Lothar Reschke
— München, 5.3.2008 —

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