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ZEITGEFÜHL

Magazin für hochwertige
Mechanikuhren

Uhren-Journal

Warum nicht Quarz?

Mechanikuhren vs. Quarzuhren

Die Anfrage, weshalb auf diesen Webseiten keine Quarzuhren vorgestellt und lobend erwähnt werden, ist Ausgangspunkt für einige persönliche Anmerkungen und Hintergrund-Betrachtungen.

Sehr geehrter Herr Reschke,

vorab nur soviel, ich will hier keine Lanze für die Quarzuhr an sich brechen, jedoch finde ich Ihre Betrachtung der modernen Quarzuhr im Vergleich zur mechanischen Uhr ein wenig einseitig.

Natürlich hat die normale Quarzuhr, gerade durch die fernöstliche Massenware, den Stellenwert eines billigen technischen Anzeigegerätes, aber ganz ehrlich, in erster Linie soll eine Uhr doch etwas anzeigen, nämlich die Zeit. Was liegt also näher, als eine billige, zuverlässige Quarzuhr genau zu diesem Zweck zu erwerben? Muß dadurch der Träger einer solchen Uhr pauschal abgewertet werden, weil er die Faszination einer mechanischen Uhr nicht erkennen kann und sie somit auch nicht zu würdigen weiß? Auf der anderen Seite, es gibt auch heute noch billige mechanische Uhren, auch hier werkelt, wenn auch qualitativ und handwerklich nicht State of the Art, ein Uhrwerk mit Hand- oder Automatikaufzug. Soll man den Träger einer solchen Uhr, die ihm vermutlich auch nur als Zeitmesser dient, in einem Atemzug mit dem Liebhaber feiner mechanischer Uhren nennen, nur weil er sich gegen die Quarzuhr entschieden hat?

Mir stellt sich zudem die Frage, warum auch renommierte Hersteller teure Quarzuhren anbieten. Gehen Sie davon aus, daß der Käufer einer solchen Uhr nur mit dem Namen protzen will, den Wert der von ihm gekauften Uhr nicht zu würdigen weiß und ihn als Statussymbol mißbraucht, Hauptsache ein großer Name. Ich persönlich liebe meine Breitling Aerospace heiß und innig, und ich bin der Meinung, daß bei dieser Uhr mit ihrem hochtechnischen Anspruch ein Quarzwerk die einzig richtige Wahl ist. Hat Ihrer Meinung nach eine solche Uhr keine Daseinsberechtigung, und ist nicht auch ein Quarzwerk dieser Qualität ein technisches Meisterwerk? Keine Frage, ich trage genauso gerne meine mechanischen Uhren, aber jede Uhr hat halt ihren Reiz, und ich halte mich nicht für einen bedauernswerten Deppen, der ein paar tausend Mark für einen Haufen Elektronikschrott ausgegeben hat.

Zudem soll es noch den Schlag Menschen geben, die jeden Uhrmachermeister zum Wahnsinn treiben können, weil bei ihnen auch die beste mechanische Uhr einfach nicht richtig laufen will. Halten diese Menschen die Quarzuhr nicht für ein technisches Meisterwerk, das ihre Probleme mit einem Schlag löst? Mein Bekannter ist jedenfalls froh, daß diverse Hersteller auch hochwertige Quarzuhren anbieten, andernfalls bliebe ihm nur die Wahl zwischen einer ständig muckenden, wenn auch teuren, Mechanikuhr oder einer billigen Quarzuhr, Typ Massenware.

Also, Ihre Begeisterung für hochwertige Mechanikuhren in allen Ehren, auch die Quarzuhr hat im gehobenen Preissegment ihren Platz, das tut der Leistung der Uhrmachermeister und Konstrukteure hochwertiger mechanischer Uhrwerke keinen Abbruch oder schmälert diese. Schließlich gibt es immer verschiedene Betrachtungsweisen und Standpunkte, nur ein "Entweder-oder" scheint mir gerade zu diesem Thema nicht ganz ausreichend; es existieren dazwischen noch jede Menge Zwischenstufen. Vielleicht teilen Sie mir ihre Meinung zu meinen Ausführungen mit, ich würde mich über eine Antwort jedenfalls freuen.

Ralf Peters


Sehr geehrter Herr Peters,

für Ihr E-Mail bedanke ich mich sehr. Auf diese Art von sachlicher Anfrage habe ich eigentlich schon länger gewartet, nur trafen bisher zu diesem Thema leider bloß ärgerliche Tiraden von Quarzuhren-Anhängern ein, die sich durch die bewußte Konzentration auf Mechanikuhren in meinen Uhrenbeiträgen provoziert und herabgesetzt fühlten. (Was dieser Ärger eigentlich bedeutet und was dahintersteckt, darauf werde ich weiter unten noch eingehen.)

Der Vorteil solcher seriöser Zuschriften wie der Ihren ist, daß sie einen zwingen, sich die Sache einmal ganz in Ruhe anzuschauen und sich selbst zu prüfen, inwieweit das fundiert ist, was man da ständig denkt und tut. Diese Frage, was denn eigentlich so schlecht sei an der Quarzuhr und ob diese nicht auf ihre Weise genau so eine gute, hochwertige Uhr sein könne wie die mechanische, ist äußerst wichtig — ich empfinde sie als eine der zentralen Fragen der Uhrenthematik überhaupt. Interessanterweise finden sich dazu aber selten pointierte, nachvollziehbare Stellungnahmen, sondern das Ganze scheint eher die Dimension eines Glaubenskrieges anzunehmen, bei dem auf der jeweiligen Seite von vornherein festzustehen hat, was die allein gültige Wahrheit ist. Nach meiner Erfahrung steckt hinter derartigen Denkweisen immer auch eine tiefere Angst des Betreffenden —: Angst davor, vielleicht doch nicht recht zu haben, aber vor allem Angst davor, daß mit einer Frage, die tief hinab in seine eigenen Wertvorstellungen und Grundüberzeugungen reicht, auch noch etliche andere Überzeugungen und Anschauungen betroffen, also gefährdet sein könnten. Und weil das viele (fast alle) nicht riskieren wollen, werden sie wütend und ärgerlich und beginnen, die jeweils andere Seite zu diskreditieren.


Was soll der Nachteil am Quarzantrieb sein — wo doch jeder zugestehen muß, daß Quarzuhren genauer gehen, also nach der Definition eines Zeitmessers logischerweise die besseren Uhren sein müßten? Man muß das spüren und empfinden können, und dieses Gespür und diese Empfindung hat nicht jeder, weil die meisten sie gar nicht kennen oder weil sie ihnen abhanden gekommen ist.

Ich spreche hier aus meiner eigenen Erfahrung. Anfang der 80er Jahre gab es noch keine Mechanikrenaissance, und ich war bereits auf der intensiven Suche nach meiner "Traumuhr". Ich hatte bereits damals das Gefühl, daß ich mir selbst etwas ganz Besonderes und Schönes antun wollte, indem ich mir statt einer dieser Wegwerf-Uhren für 20 oder 40 Euro eine wertvolle, also auch teurere Uhr zulegen wollte. Meine Suche war damals so exzessiv und umständlich, daß ich selbst heute noch Schwierigkeiten hätte, das offen zuzugeben, wenn ich nicht inzwischen wüßte, daß auch viele andere Uhrenbegeisterte von dieser Leidenschaft gepackt und nicht wieder losgelassen werden. Ich klapperte nämlich monatelang sämtliche Schaufenster ab, sogar in mehreren Städten. Die perfekte Uhr wurde zu einer regelrechten Manie für mich — vermutlich aus dem damals eher unbewußten Streben heraus, irgendetwas wirklich Stimmiges, ästhetisch Vollkommenes für mein Leben zu finden, eine Art materielle Verkörperung der Makellosigkeit. Autos wären mir dafür zu banal, und die trägt man nicht ständig als Schmuck bei sich — das Uhrenangebot hingegen bietet außerdem noch den kaum zu übertreffenden Vorteil einer schier unerschöpflichen Vielfalt. Da ist für jeden etwas dabei, und da kann er noch aus der Fülle des Angebots schöpfen, was leider für viele andere Produktbereiche, in denen sich die Designs und Materialien, nicht zuletzt aber die zugrundeliegenden Weltanschauungen und Denkweisen bis zum Überdruß ähneln. Die Uhrenbranche ist wunderbar abwechslungsreich und pluralistisch, da gibt es alle Arten von Marken und Herstellern: klein und groß, konservativ und fortschrittlich, steif und quicklebendig, klassisch und modern, prunkvoll und dezent — und genau dieses lebendige Nebeneinander ist für mich das ganz, ganz Besondere an ihr.

Um es abzukürzen: Ich fand meine (damalige) Traumuhr, es war eine ultraflache Uhr von Jaeger-LeCoultre zu dem, wie ich damals fand, atemberaubend hohen Preis von 1300 DM. Sie hatte ein absolut perfektes, klassisches Zifferblatt, weißbeige, mit enorm langen, schmalen römischen Ziffern, nur zwei Zeiger, sonst nichts, keinen Sekundenzeiger, kein Datum. Und sie hatte natürlich Quarzantrieb. Daß es noch etwas anderes geben könnte, hätte ich damals nicht einmal in Erwägung gezogen. (Außerdem kann eine solch flache Uhr nur Quarzantrieb haben.) Mit dieser Uhr war ich zehn Jahre lang völlig zufrieden.

Den Unterschied zu mechanischen Uhren kann ich erst nachvollziehen, seit mich die Liebe zur, wie ich es heute nennen würde, echten, nämlich mechanischen Uhr gepackt hat. Seitdem liegt die Jaeger-LeCoultre mißachtet in der Schublade — eigentlich eine Schande, aber trotzdem habe ich ihr gegenüber keine Schuldgefühle. Und warum nicht? Weil sie nicht lebt — weil sie tot ist. Die Uhr tickt nicht und sie hat kein richtiges uhrenmäßiges Inneres.

(Haben Sie schon einmal das Innere einer mechanischen Uhr gesehen und direkt daneben das Innere einer Quarzuhr, oder gar einer Funkuhr? Ich sage nur: Grausam!)



ETA Quarzwerk 955.102

Bildrechte: ETA

Ich nehme inzwischen mehr wahr als nur das Ziffernblatt und die äußere Gehäuseform; ich fühle, woraus eine Uhr wirklich ist, also was sie ist. Eine Batterie ist ein Fremdkörper. Nicht nur, daß sie giftig ist — sie ist und bleibt ein künstlich eingebrachtes Hilfsmittel, ähnlich einem Herzschrittmacher (der ja auch ganz ähnlich arbeitet). Und es ist noch schlimmer mit der Quarzuhr: Sie wirkt in jeder Beziehung tot. Zwar geht sie meistens richtig, aber die Auseinandersetzung mit ihr beschränkt sich auf seltenes Zeigerstellen und den Batteriewechsel. Bei meiner mechanischen Uhr stelle ich alle zwei Monate das Datum, da sie keinen ewigen Kalender hat, und dann auch die Zeit, und wenn ich es noch genauer will, was meistens aber unnötig ist, dann stelle ich öfter die Zeiger, ohne das jemals als lästige Mühe zu empfinden. Im Gegenteil: Es ist liebevolle Aufmerksamkeit und somit eine Art von Zuwendung, die mir gut tut und den Uhren auch.

Das Liegenlassen tut diesen mechanischen Uhren keinen Abbruch — die Quarzuhr wird indessen zu einer Art Zeitbombe: bleibt sie stehen und vergesse ich, mich wieder um den Batteriewechsel zu kümmern, dann kann es sein, daß das Gift ausläuft und die Uhr zerstört. Also bin ich abhängig und muß die Batterie besorgen, ob ich will oder nicht. Und der Batteriewechsel wird dann zur Suche nach dem Versorger, von dem alle abhängig sind. (Ich hatte einmal eine Uhr, für die gab es keine Batterien mehr, die mußte ich dann ganz fortwerfen.)

Dieses Empfinden, daß Quarzuhren irgendwie tot sind, wird bei mir immer stärker, und ich bin überzeugt, daß es kein Vorurteil ist. Das Ganze geht nämlich noch um einiges tiefer in die Frage hinein, was Wertempfinden ist und woher es eigentlich kommt. Es hat mit der heutigen Zeit zu tun und mit der Frage, wohin uns eine eindimensionale Technikgläubigkeit führt. Bisher wollen ja die meisten (bzw. fast alle) Menschen gerne glauben, daß alles immer besser wird. Daß die wahre Erlösung in der Zukunft liegt. Diesen Technikglauben siedle ich etwa um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert an. Man hat aber dann sehen müssen, daß die Qualität gar nicht unbedingt besser wird, siehe Atomspaltung. Von den Atomkraftwerken weiß heute jeder, daß sie hochgiftig sind. Für mich ist das eine Analogie zu den Batterien, und gar keine, die völlig an den Haaren herbeigezogen ist. Man hat nämlich bei all dem Fortschrittsdenken immer auf den Output geschaut. Der Output, das weiß auch jeder, ist bei den Atomkraftwerken am höchsten. Da wird Materie am direktesten in Energie umgewandelt. Aber ist es nicht ein bißchen merkwürdig, kommt man da nicht doch etwas zum Nachdenken, wenn man dann feststellen muß, daß ausgerechnet bei diesem Vorgang auch das allerschlimmste Gift als Begleiterscheinung mit produziert wird? Ist das nur Zufall? Sicher nicht. Es beschreibt doch perfekt diese ganz bestimmte Art des Profitdenkens, das nur Output sieht, also Gewinn, aber den Input unterschlägt, und vor allem die Balance aller beteiligten Faktoren.

Diese output-orientierte Gesellschaft ist also bereit, für zehntausende von Jahren ihr Gift zu hinterlassen — ihren eigenen Kindern dieses widerliche Gift zu hinterlassen, die das dann gefällig zu betreuen und zu versorgen haben —, nur um jetzt nicht gründlicher über den eigentlichen Zusammenhang nachzudenken. Und das wird immer noch von sehr vielen für ganz normal und anständig gehalten — die denken nicht einmal so weit, weil sie meinen, davon hätten sie nichts, das würde ihnen ihr momentanes Wohlergehen nur versauern.

Mir geht es hier um diese grundlegende Denkweise. Und diese Denkweise des nur vordergründigen Nutzeffekts ist kein Qualitätsbewußtsein, sondern etwas, das unbewußt — hoffentlich nur unbewußt, wenn nicht kriminell destruktiv — Schaden verursacht. Der Preis für die Genauigkeit der Quarzuhr ist der Gift-Output als Begleiterscheinung des Nutzen-Outputs. Und genau deshalb ist die Sache tot und steril, sie hat kein Herz und keine Wärme. Nein, das ist alles kein Zufall.

Wirklich interessant würde es erst mit dem Autoquarz-Antrieb werden. Aber ist es nicht kurios, wie merkwürdig still es um diese eigentlich doch ernstzunehmende Erfindung geblieben ist? Woran kann das liegen? Eigentlich müßten doch alle Schaufenster voll von autoquarz-angetriebenden neuen Uhren sein! Wieso interessiert sich dafür keiner? Weil es ein Zwitter ist, nichts Halbes und nichts Ganzes. Die Leute, denen Quarz genügt und die natürlich auch Geld sparen wollen — wozu sollen die, nur wegen des (für sie) abstrakten Prinzips der Batteriefreiheit, die Mehrkosten tragen? Und wer eine rein mechanische Uhr wegen ihrer Verbindung zur klassischen Handwerkskunst, ihrer Nachvollziehbarkeit und wegen der reinrassigen Ästhetik des Werks begehrt, was soll der mit einem undurchschaubaren Zusatzapparat?


Noch einmal zurück zur Genauigkeit und wie diese erreicht wird. Die beste Genauigkeit haben bekanntlich Funkuhren. Aber man muß sich einmal anschauen, in welchem äußeren Designstil derartige Uhren auftauchen! Können Sie sich eine Patek Philippe oder eine Breguet als Funkuhr vorstellen? Die weitverbreiteten Junghans-Funkuhren sehen fast immer irgendwie billig und minderwertig aus. Und weshalb? Auch hier wieder ist es immer eine Frage des Empfindens. Die meisten Menschen haben ein viel genaueres Stil- und Geschmacksempfinden, als ihnen überhaupt bewußt ist. Zumeist ist es nur verdeckt und verklebt von einem pausenlos auf sie eintrommelnden Feuer der platten Werbebotschaften, das alles auf eine von großen Konzernen erwünschte Einheitsnorm zurechtstutzen möchte. Aber so viel Stilempfinden hat jeder, daß er eine Breguet mit Funkelektronik gräßlich finden würde.

Untersuchen wir deshalb einmal die Funkelektronik genauer. Optisch betrachtet ist sie ein Witz; man könnte auch sagen, es ist besser, man erspart sich den Anblick, um nicht sämtliche Illusionen zu verlieren. Das Wesen der Funkelektronik ist die Synchronisation. Synchronisation steht hinter jeder Ganggenauigkeit. Mit der Funkuhr hängen Sie sozusagen am Tropf der großen Maschine. Mit der Quarzuhr hängen Sie am Tropf der modernen Zukunftsgläubigkeit. Hauptsache Sie sind synchronisiert.

Mir ist es lieber, wenn mein Verhältnis zur Norm sich auf frei gewählte Momente der Bezugnahme beschränkt. Dann stelle ich ganz bewußt die Zeiger meiner Uhr, die inzwischen vielleicht eine Minute abweichen (ist das so schrecklich?), nach einer Funkuhr oder nach dem Zeitzeichen im Radio. Auch das ist nur ein Gefühl, ein Gefühl der Unabhängigkeit und Autonomie. Aber was heißt eigentlich "nur Gefühl"? Ich spreche immer von Gefühlen und Empfindungen: "Qualitätsgefühl", "Wertempfinden", "gut". Ich bin bewußt nicht-rational. Quarz- und Funkuhren sind sehr rational. Das Zukunftsdenken ist etwas sehr Rationales. Die meisten Menschen, die so gepolt sind, leiden hingegen unter ihrer eigenen emotionalen Leere — oft merken sie es nicht und fühlen sich dann des öfteren hohl, desorientiert und einer vagen, nicht greifbaren Sinnlosigkeit ausgeliefert. Das hat aber seine Ursache nicht zuletzt in dieser Art Weltanschauung und Welt-Wahrnehmung.

Gerade weil ich als Informatiker genug mit gefühlsentleerten Medien und Werkzeugen zu tun habe (die aber zum Glück nicht giftig sind!), schätze ich umso mehr das Ambiente der Technik aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Oder auch der in den 1940er und 1950er Jahren gebauten Autos. Letzten Sommer sah ich, wie ein weiß-roter amerikanischer Sportwagen aus den 1950ern durch die Stadt fuhr. Es drehte sich fast jeder der Passanten auf der Straße nach ihm um, und man hatte richtiggehend den Eindruck, als bliebe die Zeit kurz stehen, als würde den Leuten kurz der Atem stocken. Einer sprach es aus, und ich bin sicher, viele andere dachten in diesem Augenblick genau dasselbe: "So etwas Schönes gibt es heute nicht mehr!"

Das ist nicht nur modisches "Retro" oder sentimentale Nostalgie, es ist auch keine Wirklichkeitsflucht und keine Rückwärtsgewandheit, sondern es ist einfach das, was ich Qualitätsempfinden nenne. Es ist zeitlos. Es gibt Dinge, die sind alt, für manche sicher sogar veraltet, und dennoch steht ihr Wert unverrückbar fest und dient immer wieder als verläßlicher Maßstab. Die klassische Musik zum Beispiel — versuchen Sie einmal, aus der Musik der letzten 70 oder 80 Jahre etwas zu finden, das einem Mozart oder Beethoven standhält.

Wird denn wirklich alles immer besser? Das habe ich früher auch geglaubt, weil ich es gar nicht wirklich reflektiert und verstanden habe. Heute glaube ich es nicht mehr. Ich glaube aber genauso wenig, daß, wie andere behaupten, alles immer schlechter wird. Nach meiner Betrachtung wird es weder besser, noch schlechter, sondern ganz einfach anders — es verändert sich einfach nur alles. Und echte Qualität hat es bereits früher gegeben und wird es, wenn wir Glück haben, weiterhin geben — eine neue Generation sollte sich bloß nur nicht einbilden, ausgerechnet sie sei es, die die echte Qualität erst herbeizaubern würde.

Die Renaissance der Mechanikuhr stellt so etwas wie die Wiederentdeckung einer bereits vor 100 bis 200 Jahren vorhandenen, äußerst gediegenen und hochentwickelten Uhrenkultur dar, man denke nur an die unübertroffenen Leistungen eines Abraham-Louis Breguet, von dem die heutige Marke ihren Namen geerbt hat. Es ist doch kein Zufall, daß ausgerechnet in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts der Bedarf an derartigen mit konventioneller Mechanik gefertigten Zeitmessern wieder so stark zugenommen hat! Hierin drückt sich gewiß auch das Bedürfnis aus, sich mit wohlfundierten Werten einer alten europäischen (und schweizerischen) Handwerkskunst in Verbindung zu setzen, genau so wie z.B. viele Menschen, die Möbel besonderer Qualität suchen, klassische anstatt moderne Möbel bevorzugen. Auch die Architektur greift Stilelemente früherer Epochen auf. Wer das Geld hat, baut heute ein Haus, das klassisch aussieht und nicht nur ein viereckiger Kasten ist, wie es in den 70ern noch als so fortschrittlich galt. Die Leute schauen genau hin, wo für sie das Allerbeste ist, und lassen sich, wenn sie intelligent sind, nicht mehr nur von modischen Kriterien leiten. Sie denken lieber selbst, anstatt sich nur von den Vordenkern der Massenmedien einreden zu lassen, was gerade "in" und deshalb für sie gut sei. Sie entwickeln selbst eine geschärfte Wahrnehmung und die daraus abgeleiteten Kriterien, jenseits von Mode und "Trend".

Bekanntlich sind modische Kriterien meist nach kurzer Zeit wieder veraltet und wirken dann im schlimmsten Fall nur noch lächerlich. Das ist ja auch der Grund, warum Rolex sein Uhrendesign kaum dem Zeitgeschmack anpaßt; wer eine Rolex kauft, weiß ganz genau, daß er damit auch dem Stilverfall anderer Produkte etwas Starkes, Beständiges entgegensetzt, nämlich indem er sich auf die Seite der Zeitlosigkeit schlägt.

Die auf ihre Art besten Uhren gab es, und es gibt sie jetzt wieder — und es sind nicht die Quarzuhren, sondern es sind diejenigen, die aus guten Gründen die strenge Schule der klassisch-mechanischen Uhrmacherkunst befolgen. Mechanische Uhren gehen nicht einfach schlechter oder falsch, sondern anders — sie verkörpern eine andere Denkweise, eine andere Sicht. Vielen Leuten, die meinen, diese Sicht zu kennen und beurteilen zu können, würde ich am liebsten wünschen, daß sie überhaupt einmal anfangen würden, diese Sicht wirklich zu entdecken. Das könnte noch eine ganz neue Erfahrung für sie sein.

Gerd-Lothar Reschke

Martin Braun La Belle B

Martin Braun La Belle B,
Handaufzugs-Werk ETA 6498, skelettiert und feingraviert,
kannelliertes Edelstahlgehäuse mit 42 mm Durchmesser, Zwiebelkrone,
Kalb-Lederarmband, verschraubte Bandanstöße

Gerd-Lothar Reschke
— München, 2000/31.5.2005 —

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